Jost Bürgi (1552 – 1632) hilft, den Himmel zu vermessen
Dr. Peter Fux,
Direktor Kulturmuseum St.Gallen
1552 kam Jost Bürgi im sanktgallischen Lichtensteig im Toggenburg zur Welt. Seine Familie war in ihrem malerischen Städtchen fest verwurzelt, über Generationen bekleideten die Bürgis hohe Ämter. Doch aus Jost wurde ein Bürger von Welt – im wörtlichen Sinne. Sein Weg führte ihn an den Hof des Landgrafen Wilhelm IV. nach Kassel und später nach Prag zu Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Beide waren grosse Förderer und Treiber der Wissenschaften.
Welche Wege den Toggenburger nach Kassel zum Astronomie-Fürsten Wilhelm IV. führten, ist noch immer im Dunkel der Geschichte verborgen. Selbst wenn das so bleiben wird: Dem Reiz seiner Geschichte würde dadurch kaum etwas abgehen. Vielleicht werden künftige Forschungen klärendes Licht auf sein frühes Leben werfen können, doch gegenwärtig wird Bürgi erst als 27-Jähriger mit der Kasseler Bestallungsurkunde von 1579 greifbar. Damals war er bereits ein brillanter und begehrter Uhrmacher, er gehörte zu den bestbezahlten Hofangestellten.
Des Lateins, der damaligen Sprache der Wissenschaft, war Bürgi nicht oder nur ansatzweise mächtig. Offenbar war ihm eine höhere universitäre Bildung verwehrt geblieben. Überhaupt scheint der Toggenburger viel mehr Praktiker denn Theoretiker gewesen zu sein. Seine Art der Wissensvermittlung war nicht die Gelehrtenschrift und Publikation, Bürgis Sprache waren in erster Linie die mechanischen Planetenmodelle und Uhren. Sie sollten zeigen, was funktioniert, aufgeht, stimmt.
Bürgi baute nicht nur die genauesten Uhren mit dem Ziel, diese in der astronomischen Beobachtung einzusetzen, sondern konstruierte auch innovative und hochpräzise Winkelmessgeräte und die sorgfältigsten und schönsten mechanischen Himmelsgloben – wahrhaftige Zeitmaschinen. Schon früh wirkte er nicht bloss als Instrumentarius, er beteiligte sich auch an den Sternenvermessungen, zusammen mit Wilhelm und den besten Wissenschaftlern seiner Zeit wie Christoph Rothmann, Nicolaus Raimarus Ursus oder später Johannes Kepler, und er entdeckte als begnadeter Mathematiker die Logarithmen.
Der Lichtensteiger fand sich in erlesenstem Kreis wieder – just da, wo einer der dramatischsten Weltbildumbrüche der europäischen Kulturgeschichte herbeigeführt wurde: Die Erde, und damit der Mensch, verliess endgültig das Zentrum der Welt, und am Himmel konnte ein Werden und Vergehen beobachtet werden. Vorbei war es mit dem Kosmos als ewige Ordnung, die spätestens seit der Antike dem vergänglichen irdischen Geschehen entgegengesetzt war. Himmel und Erde kamen sich näher. Rein geistige Modelle mussten Folgerungen aus akribischen Beobachtungen, Aufzeichnungen, Messungen und Rechnungen weichen. Geboren war die Neuzeit.
Die Ausstellung «Jost Bürgi (1552–1632) – Schlüssel zum Kosmos» im Kulturmuseum St.Gallen und das Begleitbuch erzählen nicht in erster Linie die Geschichte eines Genies, das eigenständig wissenschaftliche Durchbrüche verantwortet. Beleuchtet wird hier ein einzigartiges Milieu des Austauschs über Grenzen hinweg, ein Milieu der Kommunikation, des Auf- und Umbruchs und der grosszügigen Förderung exzellenter Wissenschaft. Diese Geschichte soll zum Nachdenken anregen. Denn sie bezeugt, was alles möglich ist – für eine einzelne Person wie Jost Bürgi und für die ganze Wissensgemeinschaft –, wenn für das richtige Klima gesorgt wird und grosszügige Förderung vorhanden ist. Gleichzeitig zeigt sich in Bürgis Wirken die unerschöpfliche und zeitlose Brillanz der menschlichen Geisteskraft.
Hier finden Sie den Text von Roman Oberholzer: