Astronomie-Interessierte, die es nach Samarkand verschlägt, sollten unbedingt nach Spuren Ulugh Begs Ausschau halten. Ich war im Oktober 2019 dort und will kurz darüber berichten.
Ulugh Beg lebte von 1394 bis 1449, überwiegend in Samarkand. Er war ein Enkel von Timur (auch Timur Lenk und Tamerlan genannt, 1336-1405), nicht von Dschingis Khan, wie man hin und wieder liest. Timur war ein Eroberer, der nach und nach über ganz Zentralasien herrschte. Er verlegte den Herrschaftssitz von Samarkand nach Herat (heute in Afghanistan) und setzte seinen Enkel als Gouverneur von Samarkand ein, als dieser noch ein Jugendlicher war. Ulugh Beg war weniger ein Krieger als ein grosser Freund der Künste, vor allem der Wissenschaft. Er liess die älteste der drei Medresen bauen, die heute den berühmten Ragestan-Platz in Samarkand bilden. Medresen gelten als Religionsschulen, an derjenigen des Ulugh Beg wurden aber auch Mathematik und Astronomie unterrichtet. Wie die frühesten Universitäten in Europa war sie also eine religiös geprägte Bildungsstätte. Um Ulugh Beg bildete sich an dieser Medrese ein grosses Team von Forschern. Zwischen 1408 und 1437 arbeiteten nicht weniger als 70 Astronomen mit ihm in Samarkand, darunter der berühmte Astronom Qadi-Zada-al-Rumi (1364-1436) und der noch berühmtere Mathematiker Ghiyath ad-Din Dschamschid bin Masʿud bin Muhammad al-Kashi (häufig al-Kashi genannt, 1380-1429), der die Zahl Pi auf 16 Dezimalstellen nach dem Komma berechnete. Ulugh Beg liess etwas ausserhalb von Samarkand ein gewaltiges Observatorium bauen. Dort wurden Messungen durchgeführt, die bis Tycho Brahe und Jost Bürgi, also ebenfalls fast 200 Jahre lang unübertroffen waren und das Maximum dessen darstellen, was ohne Fernrohr möglich ist. Dank eines riesigen Sextanten konnten sie das siderische Jahr mit einer Genauigkeit von weniger als einer Minute bestimmen, ebenso die Schieflage der Erde auf der Ekliptik. Ulugh Beg und sein Team vermassen 992 Sterne und verbesserten so den Almagest von Ptolemäus. Der Sternkatalog wurde glücklicherweise gerettet, nachdem Ulugh Beg im Rahmen eines Erbfolgestreits auf Geheiss seines eigenen Sohnes umgebracht und das Observatorium dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Zum Schluss ein Ausspruch Ulugh Begs, der zwar nicht verbürgt ist, aber sehr gut zu ihm passt: «Die Religionen zerstreuen sich wie Nebel, die Zarenreiche zerstören sich von selbst, aber die Arbeiten des Gelehrten bleiben für alle Zeiten. Das Streben nach Wissen ist die Pflicht eines jeden!»
6. Januar/2. Februar 2022: Hans Altherr, mit einem herzlichen Dank an Prof. Dr. Peter Ullrich für seine ergänzenden Hinweise