Ausgestorben? Nein, er blüht!
Das wunderschöne Lichtensteig-Buch von Armin Müller aus dem Jahre 1978 spricht vom letzten protestantischen Lichtensteiger Bürgi Carl Rudolph, der 1921 in Basel verstorben ist, und vom katholischen Zweig der Bürgi, dessen Anton Martin Notker 1826 das Zeitliche segnete und dessen Sohn ohne Stammhalter blieb. So dass beide konfessionell getrennte Zweige etwa gleichzeitig den Namen Bürgi nicht mehr an männliche Nachkommen weitergaben.
Kulturell ist der Name Bürgi aber durchaus noch präsent. Von der ersten bis zur vierten Generation ging es in den letzten fünf Jahren sogar stürmisch zu.
Im Aussehen sind sie kaum zu unterscheiden, aber inhaltlich hat jede Generation massiv dazugelernt. Die Rede ist von der Biographie «Jost Bürgi, Kepler und der Kaiser», dem Standardwerk über das weltweit bedeutende mathematisch-technische Universaltalent der Renaissance.
Weibliche Stammbäume oder geschlechtsneutrale
Dass die Familienstämme der Bürgis ausgestorben sein sollen, ist eine Mär. Das spiegelt höchstens die Zeit vor der Einführung des Namensrechtes und sogar des Frauenstimmrechtes, als alles nur dem Herrn Bürger und nicht auch der Frau Bürgerin zugeordnet wurde. Sie verlor ihren Namen und die Weiterführung im väterlichen Stammbaum und tauchte unter dem Namen ihres Gatten kurzfristig noch einmal in dessen Stammbaum auf, um dann ganz aus diesem männlich geprägten und wohl unlustigen Vorgarten Edens auszuscheiden. Seit Gregor Mendel und seiner Vererbungslehre weiss man doch darüber mehr.
Die Gene von Jost Bürgis Eltern sind ja auch in seiner Schwester und deren Kinder weitervererbt worden, deren Namen man nur als «Ronnj Murers Frau» kennt. Man muss endlich auch diese genealogischen Linien verfolgen, bevor man etwas aussterben lässt. Da wird dann plötzlich sichtbar, dass ein anderer grosser Toggenburger – der Weltvermesser Heinrich Wild (1877-1951) – nicht nur mit dem Huldrych Zwingli blutsverwandt ist, sondern ebenfalls mit einer geborenen Bürgi.
Das kulturelle Erbe nicht vergessen
Hinzu kommt das, was den Menschen zum Menschen macht: die Kultur und ihre Techniken. Jost Bürgis Leistungen beruhten auf einer Kombination von vorhandenen Methoden und Wissen, erlernten sowie perfektionierten handwerklichen Kulturtechniken und der Interaktion der mit speziellen Fähigkeiten und von den Chromosomensätzen beider Elternteile ausgestatteten Persönlichkeit Jost Bürgis, dessen Kreativität und Logarithmen in Tat und Wahrheit noch immer fortwirken. Ein Grossteil der Resultate all dessen ist in seinen Werken für Entwicklung unserer Kultur sichtbar und in diesem Biographiebuch «Jost Bürgi, Kepler und der Kaiser» zusammengefasst.
Johannes Kepler hatte 1606 über Bürgi geschrieben, dass sein Ruhm einmal so gross sein werde, wie der Albrecht Dürers, und dass er ständig wachsen werde, wie ein Baum. Jetzt erst sieht man ihn in voller Grösse: er hat dazu 428 Jahre benötigt!
Im Familienstammbaum Bürgis ist seine Schwester nicht aufgeführt, in Staudachers Bürgi- Biographie schon.
Die Supernova im Sternbild Schwan. Jost Bürgi hat ihm geholfen, diese Supernova zu bestimmen, die seither «Keplers Stern» heisst. Hier schreibt Kepler weiter über Bürgi und vergleicht ihn mit Albrecht Dürer und einem Baum: «Jost Bürgi übertrifft, trotz Unkenntnis der Sprachen, in der mathematischen Wissenschaft und Forschung leicht viele ihrer Professoren. Eine folgende Generation wird ihn auf seinem Gebiet als keine geringere Koryphäe achten als Dürer in der Malerei, dessen Ruhm, wie ein Baum, unmerklich weiter wächst.» Aus: Kepler Johannes: “Stella tertii honoris in Cygno, Narratio Astronomica”. Prag, Paul Sessii, 1606.
Fritz Staudacher